Die Zahlung eines „Hungerlohns“ ist sittenwidrig

Seit dem 01.01.2015 haben Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 EUR brutto je Stunde zu zahlen (§ 1 Abs. 2 Mindestlohngesetz). Das Landesarbeitsgericht hatte jetzt einen Fall zu entscheiden, indem ein Jobcenter, das einem Bedürftigen Leistungen bis 2014 zahlte, einen Arbeitgeber auf Schadensersatz verklagte.

Welcher Sachverhalt war vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zu entscheiden?

Eine Pizzeria hatte seit 2001 eine Arbeitnehmerin als Aushilfsfahrerin eingestellt und mit ihr eine monatliche Vergütung von 136,00 EUR bei einer Arbeitszeit zwischen 35 und 40 Stunden im Monat vereinbart, was einem Stundenlohn von 3,40 EUR brutto entspricht. Das Jobcenter zahlte der Arbeitnehmerin zwischen 2011 und 2014 Leistungen zur Grundsicherung und war der Auffassung, dass die vereinbarte Vergütung von 136 € monatlich sittenwidrig niedrig sei und es bei Zahlung der üblichen Vergütung geringere Leistungen gezahlt hätte. Das Jobcenter verlangte also die Differenz zwischen der gezahlten Vergütung und der üblichen Vergütung als Schadensersatz.

Wie hat das Landesarbeitsgericht entschieden?

Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass der Arbeitnehmerin nach § 612 BGB wenigstens die übliche Vergütung zustand. Die gezahlte Vergütung von 3,40 EUR brutto je Stunde sei ein „Hungerlohn“, von dem ein Arbeitnehmer bei einer Vollzeittätigkeit nicht leben könne. Die Vereinbarung eines solchen „Hungerlohns“ sei sittenwidrig und damit nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Mitarbeiterin hätte also einen Anspruch auf die übliche Vergütung, die sich aus den Feststellungen des Statistischen Landesamt ergeben habe. Konkret lag danach die durchschnittliche Vergütung 2011 bei 6,77 EUR brutto je Stunde, 2014 steigerte sie sich auf 9,74 EUR.

Welche Konsequenzen sind aus dem Fall zu ziehen?

Obwohl der vorliegende Fall aufgrund des Mindestlohngesetzes seit dem 01.01.2015 der Vergangenheit angehört, hat er dennoch auch in Zukunft seine Aktualität nicht eingebüßt.

Das Bundesarbeitsgericht hatte, unabhängig vom Mindestlohngesetz, in der Vergangenheit mehrfach entschieden, dass eine Vergütung dann sittenwidrig sei, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliege. Das sei der Fall, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 des in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreiche. Üblich sei ein Tariflohn dann, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebietes tarifgebunden seien oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen (BAG, Urteil vom 22.04.2009, 5 AZR 436/08).

Liegt also die Vergütung über dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 €, zahlt der Arbeitgeber aber dennoch 1/3 weniger als üblicherweise in der betreffenden Branche oder Wirtschaftsregion, ist die auch über 8,50 € liegende Vergütung sittenwidrig und der Arbeitgeber ist verpflichtet, die übliche Vergütung zu zahlen.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. April 2016, 15 Sa 2258/15

(http://www.otto-schmidt.de/news/arbeits-und-sozialrecht/stundenlohn-von-3-40-euro-ist-sittenwidrig-2016-04-25.html)